Fall von Ausbeutung, Menschenhandel und Scheinselbstständigkeit in Österreich aufgedeckt. Betroffen: über 200 Arbeitnehmer:innen.
Im Juni 2022 kam ein landesweiter Fall von Ausbeutung, mutmaßlichem Menschenhandel und organisierter Scheinselbstständigkeit in Österreich ans Licht. Am 9. Mai 2023 informierten Ludwig Dvořák von der AK Wien, Reinhold Binder von der PRO-GE und Johanna Schlintl von UNDOK über die Hintergründe dieses Falls.
Mehr als 200 betroffene Arbeitnehmer:innen
Ein deutscher und eine österreichische Staatsbürgerin hatten über ihre mittlerweile insolvente Firma S.H.G. über Jahre hinweg mehr als 200 Kolleg:innen aus Drittstaaten an bekannte Unternehmen verliehen. Diese waren bei Franchisenehmern von Burger King, IQ Autohof, anderen Tankstellenbetreibern und Securitas im Einsatz. Nun machen die Betroffenen mithilfe der AK Wien ihre Ansprüche gegenüber den Arbeitgebern geltend.
Gezielter Druck auf Arbeitnehmer:innen
Die Eigentümer der S.H.G. setzten die Arbeitenden – überwiegend Asylwerbende mit irakischen Papieren – gezielt unter Druck, um Gewerbeberechtigungen zu erhalten. Daher stellten die Kolleg:innen jeden Monat Rechnungen an die S.H.G. und waren als gewerblich selbstständig Erwerbstätige bei der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) versichert.
Arbeitnehmer:innen als Scheinselbstständige eingesetzt
Obwohl sie als selbstständig gemeldet waren, arbeiteten die Kolleg:innen in Wirklichkeit nicht selbstständig. Ihre Arbeitszeiten wurden von der S.H.G. vorgegeben und sie arbeiteten in den Betrieben der Auftraggeber wie normale Arbeitnehmer:innen – allerdings zu Dumpinglöhnen. An ihren Arbeitsstätten (Tankstellen, Gastronomie, Fußballstadien, Baustellen, Altersheime etc.) unterlagen sie den Weisungen der dortigen Vorgesetzten und verwendeten deren Betriebsmittel.
Lohndumping: Bruttostundenlohn von 9,50 Euro
Die S.H.G. umging dadurch die Regelungen der Arbeitskräfteüberlassung und zahlte den Arbeitenden einen Bruttostundenlohn von 9,50 Euro, der weit unter dem kollektivvertraglichen Mindestlohn liegt. Die Auftraggeber der S.H.G. profitierten ebenfalls von dieser Praxis. Nach Verträgen, die der AK Wien vorliegen, zahlten mehrere Auftraggeber pro Arbeitsstunde zwischen 14,50 Euro und 16,50 Euro, was unter den üblichen Preisen liegt und die real zustehenden Lohnkosten nicht deckt.
Rechtswidrige Pauschalen und überlange Arbeitszeiten
Zudem wurden den Kolleg:innen rechtswidrige Pauschalen für Transport und Unterkunft sowie nicht näher definierte Abschlagszahlungen abgezogen. Das System beinhaltete überlange Arbeitszeiten, Verstöße gegen Ruhezeiten, nicht bezahlte Überstundenzuschläge und fehlende Sonderzahlungen. Wenn Arbeitnehmer:innen erkrankten oder Urlaub wünschten, wurde ihnen unverzüglich mit Kündigung gedroht.